schriftkunst

Chinesisches Gedicht (Schreibübung) in Kursivschrift. Foto © Kolja Quakernack
Chinesisches Gedicht (Schreibübung) in Kursivschrift. Foto © Kolja Quakernack

In der chinesischen Tradition werden vor allem die Texte alter Meister vergangener Dynastien wieder und wieder abgeschrieben, um mit ihrer Hilfe Ästhetik und Anatomie der Schriftzeichen zu verstehen. Erst im hohen Alter, nach Jahrzehnte langem Lernen und mithilfe angehäufter Lebensweisheit, kann ein eigener Stil reifen.

 

Im Westen probieren sich Künstlerinnen und Künstler viel losgelöster von den Vorgaben der Erfahrenen aus. Sie versuchen dabei oft ihre eigene Kreativität zu entdecken und sie umzusetzen, ohne sich zu sehr an den alten Lehren zu orientieren.

 

Ich bin auf meinem Weg mit dem Pinsel auf beiden Pfaden unterwegs: Mein asiatischer Weg schlängelt sich wie ein steiniger Trampelpfad durch das nebelige, schier endlose Gebirge des Lernens. Das heißt viele Stunden einzelne Striche üben, wochenlang in einzelnen Schriftzeichen versinken, zahlreiche Texte chinesischer Kalligraphen kopieren und versuchen, ihrem Rhythmus, ihren Gedanken und Gefühlen zu folgen. Mein westlicher Weg gleicht einer asphaltierten Straßenlandschaft mit Abzweigungen, Sackgassen und Seitenbiegungen, die entdeckt werden wollen. Wenn ich nicht weiter komme, dann kehre ich um, lasse los und schaue neugierig um die nächste Ecke. Inspiration und Ideen, Formen und Muster, Normen und Werte - sie alle wollen entdeckt und erlebt werden. 

 

Diese beiden Wege, den fernöstlichen und den westlichen, vereine ich in meinen Pinselschwüngen. Fleiß und Strenge der chinesischen Lehre, die japanische Achtsamkeit und die den Deutschen nachgesagte Kreativität und ihr Erfindungsgeist: Sie alle finden sich in meinen Pinselschwüngen wieder und verschmelzen in meinem Strich.

Chinesisches Gedicht (Schreibübung) in Kursivschrift. Foto © Kolja Quakernack
Chinesisches Gedicht (Schreibübung) in Kursivschrift. Foto © Kolja Quakernack